Globalbudget

Albtraum Globalbudget

Von der Politik ertönt der Ruf nach einem Globalbudget. Über einen Aspekt eines solchen Modells spricht aber niemand: Was passiert, wenn das Budget aufgebraucht ist? Politik+Patient zeigt auf, was auf den einzelnen Patienten zukommt.

Globalziele, Kostenbremse, Zielvorgaben, Mengenbudgets, Kostensteuerung – egal, wie man es benennt, gemeint ist immer dasselbe: Ein Globalbudget für das Gesundheitswesen der Schweiz.

Was aus Sicht des kranken Menschen Sorge bereitet: Die Politik würde den Umfang der Patientenversorgung festlegen, der Versicherungsanspruch des Patienten endet daher mit dem Budget. Doch wie lässt sich das umsetzen? Und was bedeutet es für den einzelnen Patienten?

Administrationskosten statt Gesundheitskosten

Der Bundesrat hat angekündigt, im November 2019 ein Kostendämpfungspaket II vorzulegen. Mit einer «verbindlichen Zielvorgabe» will er die Kostensteigerung des Gesundheitswesens von 4 % auf 2,5 % verringern. Die einzelnen Leistungserbringer des Gesundheitswesens müssen Wachstumsziele befolgen, um keine «ungerechtfertigten Kosten» zu generieren. Spitäler, Ärztinnen und Ärzte, Pflegeheime, Physiotherapeutinnen und -therapeuten, die Krankenpflege und Labors erhalten allesamt ein Wachstumsziel, beziehungsweise ein Budget.

Um genau zu wissen, wer wo was ausgibt, müsste ein Überwachungsorgan geschaffen werden. Dieses müsste unglaubliche Datenmengen erfassen und auswerten. Das ginge nur über ein feines Verteilernetz. Was das konkret bedeutet, lässt sich an Deutschland ablesen; denn unser nördlicher Nachbar hat seit zwei Dekaden ein Globalbudget für das Gesundheitswesen. In Deutschland kommt statistisch gesehen auf zehn Ärzte einer, der ausschliesslich Administration erledigt. Das kostet. Ein Aspekt, der in der politischen Debatte ums Globalbudget in der Schweiz nicht erwähnt wird. Rechnet man die deutschen Zahlen auf unser Land um, bräuchte es einen Administrationsapparat, der drei zusätzlichen Bundesämtern entspräche – einzig um das Globalbudget umzusetzen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich damit sparen lässt. Die Kosten werden lediglich umverteilt; statt für die Gesundheit des Patienten würde Geld für Administration ausgegeben. Deutschland jedenfalls schafft es trotz Globalbudget nicht, dass das Gesundheitswesen einen wesentlich kleineren Teil des Bruttoinlandprodukts ausmacht (CH: 12,1 %, DE: 11,2 %). Das wäre in der Schweiz kaum anders: Die Kantone Genf, Waadt und Tessin kennen bereits ein Globalbudget im Spitalbereich. Und es sind genau die drei Kantone, wo Versicherte die höchsten Prämien bezahlen müssen.

Der sechste Patient

Wie die 1,5 % «ungerechtfertigte Kostensteigerung» eingespart werden sollen, kann der Bundesrat nicht erklären. Die Einsparung sei jedenfalls ohne Qualitätseinbussen zu bewerkstelligen. Wenn man es auf die einzelne Arztpraxis herunterbricht, könnte sich das Globalbudget zum Beispiel so ausnehmen: pro Monat 5 Platzwunden-Behandlungen, 25 Blutentnahmen, 10 Masernimpfungen, etc. Abstraktes wird so plötzlich greifbar. Der sechste Patient mit einer Platzwunde wird zur «ungerechtfertigten Kostensteigerung». Notfallstationen sind überlaufen, Sorgen- und psychosomatische Gespräche fallen aus, Aufklärungen bei chronischen Krankheiten werden nicht vergütet, kurz: die wichtige Patientenversorgung leidet massiv.

Doch was passiert mit dem sechsten Patienten? Was passiert, wenn die «Zielvorgaben», wie sie in realsozialistischer Manier von Befürwortern des Globalbudgets genannt werden, überschritten werden? Ein erneuter Blick in die Bundesrepublik zeigt: nichts Erfreuliches. Hat ein Arzt fünf Platzwunden pro Monat behandelt, nimmt er eine sechste Behandlung schlichtweg nicht an. Manche Praxen schliessen gar ganze Tage, um das Budget nicht zu überschreiten. Patienten müssen dadurch teils zu wildfremden Ärzten wechseln, Terminverschiebungen ins Folgequartal sind längst Usus.

Die Folgen sind absehbar. Wer es sich leisten kann, lässt sich privat versichern und wird vom System privilegiert. Während Kassenpatienten auf eine Untersuchung beim Augenarzt in Nordrhein-Westfalen im Durchschnitt 38 Tage warten, müssen sich Privatpatienten nur rund 5 Tage gedulden. Noch schlimmer ist beispielsweise die Wartezeit bei Kardiologen in Rheinland- Pfalz; dort wartet der Kassenpatient 71 Tage (mehr als zwei Monate), der Privatpatient 19 Tage. Das ist eine Zweiklassenmedizin.

Lieber Gesunde als Kranke

Viel verheerender ist eine weitere Zweiteilung der Patientenschaft. Der Arzt ist gezwungen, das Budget beim einzelnen Patienten nicht zu überschreiten, um die Zielvorgaben zu erfüllen und noch anderen Patienten Leistungen verordnen zu können. Aufwendige Patienten sprengen schnell das Plansoll und werden damit zum Schreck für die Praxis. Die Folge wäre, dass Leistungserbringer sich gezwungen sehen, zwischen gesünderen und kränkeren Patienten zu unterscheiden. Oder, um es mit den Worten des deutschen Gesundheitsökonomen Volker Ulrich auszudrücken: «In einem Globalbudget arbeitet derjenige (Arzt) wirtschaftlich, der es schafft, sich von der Versorgung kranker Menschen fernzuhalten.»

Um das Schweizer Gesundheitswesen zu verbessern, braucht es Reformen. Die Ärzteschaft unterstützt sinnvolle Sparmassnahmen wie smarter medicine und interprofessionelles chronic care management, die die Patientensicherheit nicht gefährden. Sie kann deshalb ein Globalbudget nicht akzeptieren und wird diesen Albtraum nötigenfalls mit einem Referendum bekämpfen.

Bildlegende

Im Extremfall muss das Globalbudget Franken für Franken auf jede einzelne Arztpraxis heruntergebrochen werden (Bild: Keystone)

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