Schweizer Gesundheitssystem in Gefahr

Die Schweiz hat eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt, aber auch eines der besten. Grund genug, nicht an der falschen Stelle zu sparen. (Redaktion: planète santé, SMSR)

Sparen ist ein exzellentes Prinzip. Aber auch nur dann, wenn die negativen Auswirkungen die Vorteile nicht zunichtemachen. Diese Gefahr bergen momentan im Gesundheitswesen die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen zur Kostenkontrolle, die vom neuen Parlament zu diskutieren sind.

Anerkannte Schweizer Effizienz

Das Schweizer Gesundheitssystem wird als sehr gut bewertet. So belegt die Schweiz beim Ranking des Euro Health Consumer Index (EHCI), das 35 Länder vergleicht, im Jahr 2018 den ersten Platz. 2017 hatte die medizinische Fachzeitschrift The Lancet die Schweiz in einer in 195 Ländern durchgeführten Studie zum Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu deren Qualität im Spitzenfeld angesiedelt. Diese Exzellenz spiegelt sich auch in der Lebenserwartung der Schweizer wider. Sie verzeichnet den stärksten Anstieg aller Industrieländer (BFS 2017) und beträgt zurzeit 83,7 Jahre. «Den Schweizer Senioren geht es gut und sie leiden im internationalen Vergleich am wenigsten unter funktionellen Beeinträchtigungen», verdeutlicht Philippe Eggimann, Präsident der Westschweizer Ärztegesellschaft (SMSR).

Exzellenz hat ihren Preis

Ein Gesundheitsnetz mit über 430 000 medizinischen Fachkräften und 350 Spitälern (also durchschnittlich 4,5 Spitäler je 100 000 Einwohner) hat seinen Preis. Die Schweiz gibt dafür über 80 Milliarden Franken pro Jahr aus, fast 11 % ihres BIP. Sie zählt damit zu den Ländern mit den höchsten Gesundheitskosten in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Dem liegt eine einfache Logik zugrunde: Jedermann wird früher oder später an einer Krankheit leiden, die neue Ausgaben nach sich zieht. Hohe Kosten sind demnach mit einem effizienten Gesundheitssystem kompatibel. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Behandlungen falsch sind. Natürlich ist es aber auch logisch, dass die Schweizer sich Sorgen wegen der steigenden Krankenkassenprämien machen. Bei den Umfragen im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen am 20. Oktober führte dieses Thema das Sorgenbarometer der Anhänger von vier Parteien – SP, FDP, CVP und BDP – an.

Gefährliche Vorschläge

Im Parlament werden verschiedene Massnahmen unter die Lupe genommen, die diesen Trend bremsen sollen. Darunter die Einführung von Globalbudgets, die in der Praxis einer Rationierung der medizinischen Versorgung gleichkommen. In den Ländern, die diese Lösung bereits haben, wie England, Deutschland und die USA, lässt sich jedoch keine Stabilisierung der Gesundheitskosten feststellen; im Gegenteil. In ihrer Ausgabe vom 23. Juni stellt die britische Tageszeitung The Guardian fest, dass die Lebenserwartung der Engländer seit 2013 um sechs Monate gesunken ist, was auf die Reduktion der Gesundheitsbudgets zurückzuführen sei. Budgetobergrenzen füren fast immer zu längeren Wartezeiten, wovon jedoch nicht alle Patienten gleichermassen betroffen sind: Finanziell besser gestellte Patienten könnten sich durch den Abschluss von Zusatz- oder Privatversicherungen weiter behandeln lassen. So schwankt laut des Journal of the American Medical Association (JAMA) die Lebenserwartung der Amerikaner seit über zwölf Jahren je nach deren sozioökonomischer Lage. «Bevor man Massnahmen akzeptiert, die alle einer Art von Rationierung entsprechen, ist es wichtig, ihre Folgen in anderen Ländern zu analysieren», so Philippe Eggimann.

Vernünftige Lösungen

In der Schweiz beinhalteten die Massnahmen zur Dämpfung der Gesundheitskosten im Wesentlichen eine massive Verlagerung der stationären Behandlungen in den ambulanten Bereich. Die ambulanten Behandlungen sind güstiger, gehen jedoch vollständig zulasten der Krankenversicherer – daher die Preisspirale bei den Prämien. Parallel dazu sei die Abrechnung von stationären Leistungen derart gesunken, dass einige Spitäler nun rote Zahlen schreiben und immer mehr Subventionen benötigen. Es gibt jedoch auch vernünftige Lösungen. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne smarter medicine. Die SMSR schlägt vor, die Kantone an der Finanzierung des ambulanten Bereichs zu beteiligen, aber nur (zumindest in der Anfangsphase) bei sechs medizinischen Leistungen, die laut einem kürzlich gefassten Bundesbeschluss nur noch ambulant vergüet werden. Hierbei handelt es sich um häufig durchgeführte Eingriffe (z. B. Leistenbrüche, Krampfaderoperationen an den Beinen, Kniearthroskopien). Im Parlament wird in Kürze der radikalere Vorschlag diskutiert, diese Beteiligung der Kantone auf alle ambulanten Behandlungen auszuweiten. Da im Krankenversicherungsbereich unabhängige Statistiken fehlen, wäre es besser, eine Art Testlauf zu starten, um die Auswirkungen der Massnahmen objektiv messen zu können.

Bildlegende

Das Parlament diskutiert Massnahmen, die Patienten künftig den Zugang zu medizinischen Leistungen erschweren. Bild: Keystone

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