Gefährliche Eindringlinge

Ökonomische Prinzipien können unter Umständen dem ärztlichen
Berufsethos widersprechen. Das wird insbesondere dann zum Problem,
wenn branchenfremde Investoren ins Gesundheitswesen investieren
und auf schnelle Rendite hoffen.

Dieser Artikel ist in Kooperation mit dem Swiss Dental Journal der SSO entstanden.

Seit einigen Jahren investieren zunehmend branchenfremde Investoren in den Gesundheitssektor. Sie kaufen Kliniken und Spitalgruppen, vermehrt auch medizinische und zahnmedizinische Praxen und Zentren. In Zeiten von anhaltenden Niedrigzinsen bietet ein solches Engagement einige ökonomische Vorteile: Medizin ist ein stabiles Geschäft mit hohen Renditen. Wer Schmerzen hat, geht zum Arzt, und zwar unabhängig von Konjunkturzyklen. Zudem bietet die Branche gute Wachstumschancen, weil sie extrem fragmentiert ist: Bis vor wenigen Jahren gab es kaum grössere Zusammenschlüsse, die meisten Hausärzte waren zugleich Eigentümer ihrer Praxis.

Rendite auf Kosten der Patientensicherheit
Kein Wunder fühlen sich Investoren angesprochen. Häufig handelt es sich dabei um international tätige Aktiengesellschaften und zunehmend auch um Private- Equity-Gesellschaften. Vor allem Letztere kaufen Unternehmen in der Regel mit grossen Renditezielen. Sie wollen das Kaufobjekt reorganisieren, den Unternehmenswert so steigern und die Firma nach durchschnittlich fünf oder sechs Jahren mit Gewinn weiterverkaufen. Dass bei diesem Vorgehen die Patientensicherheit zu kurz kommen kann, ist offensichtlich. Die Investoren jedoch sehen nur Vorteile für die Patienten, die tatsächlich nicht von der Hand zu weisen sind – zumindest auf den ersten Blick nicht: Ketten und Zentren bieten den Patienten längere und flexiblere Öffnungszeiten, häufig auch am Wochenende. Zudem behaupten sie oftmals, sie könnten die Behandlungen günstiger erbringen. Doch der Schein trügt.

Nachteile für Patienten und Angestellte
Vermeintlich günstigere Behandlungen werden oft mit unnötigen Mengenausweitungen und unzulässiger Auszreizung des Tarifsystems kompensiert – dies zweifelsohne zum Nachteil des Patienten. Zentren und Ketten sind bestimmt effizient organisiert, sie lasten Räume und Geräte besser aus, schreiben Investitionen schneller ab und können als Grossabnehmer beim Einkauf vorteilhafte Bedingungen aushandeln. Allerdings werden diese Preisvorteile wohl nicht immer an den Patienten weitergegeben. Zudem ist der Koordinationsaufwand in solchen grossen Strukturen nicht zu unterschätzen. Darunter leidet der persönliche Umgang mit dem Patienten, was den Aufbau eines gefestigten Vertrauensverhältnisses erschwert – eigentlich die Grundlage der Arzt-Patient-Beziehung.

Aus Sicht der Investoren sollen auch die Arbeitnehmer gewinnen: Das Risiko und der finanzielle Aufwand, die für die Gründung einer Einzelpraxis nötig sind, entfallen. Die Kehrseite der Medaille sind jedoch oft vom Arbeitgeber sehr rigid ausformulierte Arbeitsverträge, die den Arbeitnehmer unter anderem mit hohen Umsatzvorgaben bei der Patientenbehandlung unter Druck setzen. Der CED, der Dachverband der europäischen Zahnärzte, berichtete 2018 über unethische Praktiken in Betrieben von europäischen Dentalketten. Aus Spanien und Frankreich sind Fälle bekannt, in denen die angestellten Zahnärzte die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen und arbeitsfreien Zeiten nicht einhalten durften. Auch in der Schweiz gibt es Berichte über branchenfremde (und teilweise gar brancheninterne) Investoren, die aus wirtschaftlichem Interesse zahlreiche Praxen aufkaufen und mit ihren Sparmassnahmen bewusst Qualitätseinbussen in Kauf nehmen.

Ist die Ökonomisierung der Medizin ein Problem?
Wo verläuft die Grenze zwischen nötiger Ökonomisierung und Verrat an der ärztlichen Verantwortung für das Patientenwohl? Nach Ansicht des deutschen Medizinethikers Giovanni Maio ist ökonomisches Denken im Gesundheitswesen eine Notwendigkeit und liegt auch im Interesse der Prämien- und Steuerzahler. Die Ökonomisierung der Medizin werde dann zum Problem, wenn ihre Logik nicht nur auf Strukturen angewendet werde, sondern auf den Inhalt der Medizin selbst. Denn die Logik der Ökonomie könne dem ärztlichen Berufsethos widersprechen, etwa wenn Patienten nicht behandelt würden, um Kosten zu sparen. Die Aufgabe, eine unangemessene Übertragung des ökonomischen Denkens auf die Medizin zu verhindern, kann nur der Arzt übernehmen. Ziel muss es sein, das Gesundheitssystem wieder stärker an den Bedürfnissen der Patienten auszurichten – und dem ethischen Prinzip treu zu bleiben, dass der Mensch im Mittelpunkt steht.

Ein neuer Eid für junge Ärzte
Die Ärzte haben das Problem ebenfalls erkannt und versuchen gegenzusteuern: Initiiert vom Institut «Dialog Ethik» und unterstützt von verschiedenen Ärzteverbänden wurde ein neuer «Schweizer Eid» entwickelt; eine moderne Version der bisherigen Abwandlungen des hippokratischen Eids, auf den sich Ärzte seit der Antike beziehen. Neu geloben die Ärzte unter anderem: «[Ich instrumentalisiere die Patienten] weder zu Karriere- noch zu anderen Zwecken [...]» und: «Ich wahre meine Integrität und nehme im Besonderen für die Zu- und Überweisung von Patientinnen und Patienten keine geldwerten Leistungen oder andersartigen Vorteile entgegen und gehe keinen Vertrag ein, der mich zu Leistungsmengen oder -unterlassungen nötigt.» Im Sommer 2018 legten 40 Ärzte des Kantonsspitals Freiburg den neuen Eid erstmals ab.

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