Gendermedizin: raus aus der Nische!

Spätestens seit Beginn der Pandemie ist klar, dass das Geschlecht in der Medizin eine bedeutende Rolle spielt:

Männer erkranken häufiger schwer an SARS-CoV-2 (Corona) und sterben öfter an der Erkrankung. Hingegen leiden Frauen öfters an den gesundheitlichen Spätfolgen der Virusinfektion (Long-COVID) sowie den sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Pandemie. Auch unterscheiden sich das Risiko und die Art der Impfnebenwirkungen bei Männern und Frauen. Trotz intensiver Forschung ist es jedoch nach über zwei Jahren Pandemie nicht gelungen, die wesentlichen Mechanismen, die für diese Geschlechterunterschiede verantwortlich sind, zu entschlüsseln.

Dies liegt vor allem daran, dass die geschlechterspezifische Medizin, auch Gendermedizin genannt, bislang ein Nischendasein führte: Obwohl es weltweit Aufrufe gibt, die Berücksichtigung von Geschlechterunterschieden in Forschung und Praxis zu implementieren, wird die Bedeutung des Geschlechts immer noch in vielen medizinischen Studien ignoriert. Frauen sind in Arzneimittelstudien nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, und auch in der Grundlagenforschung wird die Frage nach dem Geschlecht kaum gestellt: Daten werden zu 90% an männlichen Tieren erhoben, und nur 5% der Forschungsarbeiten werden an weiblichen Zellen durchgeführt. Damit gehen bereits in diesem frühen Stadium der Forschung wichtige Erkenntnisse verloren. Auch in der klinischen Routine werden Unterschiede zwischen Mann und Frau kaum wahrgenommen.

Im Gesundheitssystem kann eine Effektivitätssteigerung erzielt werden, wenn gezielt auf die Bedürfnisse des Einzelnen eingegangen wird. Ein erster Schritt in Richtung dieser individualisierten Medizin ist die Berücksichtigung von Geschlechtsunterschieden.

Bildlegende

Catherine Gebhard ist Professorin für Gender Medizin an der Universität Zürich und leitende Ärztin Interventionelle Kardiologie am Kantonsspital Baden.

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