Neue Technologien erobern die Gesundheitsversorgung

Die digitalen Hilfsmittel in der Medizin sind auf dem Vormarsch. Bei aller Euphorie sollten aber die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten sowie von Ärztinnen und Ärzten nicht zu kurz kommen.

Künstliche Intelligenz, personalisierte Medizin, Operationsroboter – das ist keine Zukunftsmusik, sondern bereits Alltag in Schweizer Spitälern. Auch in der ambulanten Medizin kommen immer häufiger digitale Hilfsmittel zum Einsatz – wenn auch auf niedrigerer Stufe – beispielsweise in Form von Terminerinnerungen per SMS, Befundmitteilungen per E-Mail oder digitalen Formularen zur Anamnese. Möglich wäre noch viel mehr: Es gibt Apps zur Beobachtung des eigenen Suchtverhaltens oder als Ratgeber für Angehörige, elektronische Medikationspläne oder Chatbots zur Unterstützung der psychischen Gesundheit in schwierigen Lebenssituationen. Und Roboter können ältere Patientinnen und Patienten zu Hause unterstützen.

Die App auf Rezept
Die künftige Entwicklung geht weiter in Richtung digitalisierte Medizin. Apps könnten bei manchen Erkrankungen den Heilungsverlauf erwiesenermassen unterstützen. In Deutschland sind seit Oktober 2020 auch einzelne Apps auf Rezept erhältlich. Sie müssen allerdings als Medizinprodukt zugelassen, CE-zertifiziert und nach dem «Digitale-Versorgung-Gesetz» (DVG) als krankenversicherungspflichtig gelistet sein. Bisher aufgenommene Apps bieten Hilfe bei Tinnitus, bei bestimmten Angststörungen, Rückenschmerzen, Depressionen, beim Einnehmen von Medikamenten, Diabetes mellitus, Migräne oder Schwangerschaften.

Patienten fehlt die digitale Kompetenz
Man darf aber nicht vergessen: Nicht alle Patientinnen und Patienten sind mit digitalen Geräten aufgewachsen und können sie intuitiv richtig nutzen. Gerade ältere Menschen haben oftmals nicht die digitale Kompetenz, um Apps oder digitale Hilfsmittel selbständig zu nutzen. Manche von ihnen haben kein Smartphone und auch keine E-Mail-Adresse, an die man zum Beispiel eine Impfbestätigung oder eine Überweisung schicken könnte. Gemäss dem Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben hat etwa ein Viertel der Bevölkerung in der Schweiz nur geringe oder gar keine digitalen Grundkenntnisse. Rund 800’000 Erwachsene haben zusätzlich Mühe mit Lesen und Schreiben. Diese Patienten sind darauf angewiesen, dass sie weiterhin direkten oder telefonischen Kontakt zu ihrem Hausarzt, ihrer Hausärztin pflegen können.

Über 350’000 Apps wären zu überblicken
Auch Ärztinnen und Ärzte nutzen die digitalen Hilfsmittel zur Patientenbehandlung nur beschränkt. Gemäss einer Umfrage der Ärztevereinigung FMH schöpft knapp jeder siebte Arzt nach eigenen Angaben das gegenwärtige Potenzial der digitalen Gesundheitsversorgung aus. Die Befragten geben an, es sei schwierig den Überblick über die digitalen Gesundheitsanwendungen pro Krankheitsbild zu behalten. Das ist kein Wunder bei geschätzt über 350’000 Apps aus dem Gesundheitsbereich. Die Mehrheit der Befragten kannte viele der nützlichen Apps, nach denen gefragt wurde, nicht. Auch Angebote mit Chatbots, Videospielen oder Virtual-Reality-Lösungen waren den meisten noch nie konkret begegnet.

Wenn von der Digitalisierung in der medizinischen Grundversorgung die Rede ist, steht meistens die Technologie im Vordergrund. Besser wäre es jedoch, wenn die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sowie der Ärztinnen und Ärzte im Mittelpunkt stünden. Das bedeutet möglicherweise, dass das direkte Gespräch zwischen Patient und Arzt immer noch eine tragende Rolle spielt; und dass digitale Werkzeuge nur ganz gezielt eingesetzt werden, wo es sinnvoll ist. Bisher handeln die einzelnen Akteure losgelöst voneinander. Es fehlt eine übergeordnete Koordination, die unter anderem die Frage beantwortet: Was brauchen wir eigentlich?

Bildlegende

Nicht alle Patientinnen und Patienten können Apps oder digitale Hilfsmittel intuitiv richtig nutzen.

Bild: iStock

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