Quo Vadis Integrierte Versorgung?

Der Bundesrat propagiert die Förderung von neuen Netzwerken zur koordinierten Versorgung. Was bedeutet dies für die bestehende Versorgungslandschaft in der Schweiz?

Eigentlich ist es ganz einfach: Werden bei der Patientenbehandlung alle Beteiligten miteinbezogen, ist dies effizient, kostengünstig und erfolgreich. Dabei stehen die Bedürfnisse der Patienten im Zentrum, man vermeidet Doppelspurigkeiten und reduziert den administrativen Aufwand. Das Resultat sind zufriedene und gut behandelte Patienten, entlastete Ärztinnen und Ärzte sowie geringere Gesundheitskosten. Soweit, so unbestritten. Aber was einfach erscheint, wird umgehend kompliziert.

Integriert, koordiniert oder Silo-Denken?
Es beginnt schon bei den Begriffen, die nicht klar definiert sind. Ist ein Hausarztmodell schon integrierte Versorgung? Ist ein Gesundheitszentrum ein koordiniertes Netzwerk? Und worin unterscheiden sich Versicherungs- und Versorgungsmodelle? Vielfach wird beklagt, dass im Schweizer Gesundheitssystem ein Silo-Denken herrsche: jeder Bereich denkt nur für sich und verfolgt eigene Interessen. Das führt zwar zu hoher Qualität in den einzelnen medizinischen Gebieten und damit zu einer hochstehenden Gesundheitsversorgung für die Schweiz. Die immer komplexer werdenden Herausforderungen – Überalterung, Multimorbidität, steigende Krankenkassenprämien, Fachkräftemangel – können damit aber nicht nachhaltig angegangen werden. Dazu braucht es eine integrierte oder zumindest koordinierte Versorgung.
Ganz allgemein versteht man unter integrierter Versorgung Folgendes: die enge, strukturierte und verbindliche Zusammenarbeit von verschiedenen Berufsgruppen – Ärztinnen und Ärzte, andere Gesundheitsfachpersonen, Betreuende, Pflegende usw. Diese Zusammenarbeit erfolgt ganzheitlich und betrifft nicht nur einzelne gesundheitliche Aspekte, sondern auch das Lebensumfeld der Patienten. Integrierte Versorgung ist ein Modell der gesundheitlichen Versorgung. Nicht zu verwechseln mit alternativen Versicherungsmodellen. Letzteres bedeutet: Versicherte verzichten zugunsten von Prämienverbilligungen auf ihre freie Wahl der Leistungserbringer. Mit einem Telmed-Modell muss man zuerst mit einem Callcenter telefonieren, mit einem Hausarzt-Modell zum Hausarzt, und mit einem HMO-Modell ins Ärztezentrum gehen.

Integrierte Netzwerke sind seit 25 Jahren erfolgreich
In der Schweiz sind in den letzten 25 Jahren zahlreiche Netzwerke im Sinne der integrierten Versorgung entstanden. Ärztinnen und Ärzte sowie andere Gesundheitsfachpersonen haben sich dabei auf freiwilliger Basis zusammengeschlossen. Diese Netzwerke sind je nach regionalen und demografischen Gegebenheiten unterschiedlich ausgestaltet. Erfolgreich sind sie durch die Pflege langjähriger Partnerschaften, Innovationen und durch die Orientierung an sich wandelnden Bedürfnissen. Das wiederum reduziert die Kosten.
Weshalb also schlägt der Bundesrat im Rahmen des Massnahmenpakets II zur Kostendämpfung nun nochmals ein neues Konstrukt vor, nämlich die Netzwerke zur koordinierten Versorgung? Es soll sich dabei um einen Zusammenschluss von Gesundheitsfachpersonen unter ärztlicher Leitung handeln. Sie sollen eine den Patientenbedürfnissen entsprechende Betreuung aus einer Hand gewährleisten. Soweit gleicht das Konzept der integrierten Versorgung. Neu sind die koordinierten Netzwerke jedoch bewilligungs- und aufsichtspflichtig und unterliegen staatlichen Vorgaben. Zudem sollen alle erbrachten Leistungen gegenüber den Versicherern jeweils als ein einziger Leistungserbringer abgerechnet werden.

Schritt zur Staatsadministration?
Damit muss sich der Bundesrat den Vorwurf gefallen lassen, die über mehr als zwei Jahrzehnte gewachsenen und erfolgreichen integrierten Netzwerke zu zerstören. Die bürokratischen Hürden lassen einen erheblichen administrativen Mehraufwand erwarten – im davon ohnehin schon arg gebeutelten Gesundheitswesen. Deshalb erschliesst sich auch der angebliche Beitrag zur Kosteneindämmung nicht. Es ist somit nicht verwunderlich, dass dem bundesrätlichen Vorschlag ein rauer Wind entgegenweht: nicht weniger als 328 Stellungnahmen sind zum ganzen Massnahmenpaket II eingegangen. Angesichts des starken Widerstands hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates beschlossen, zum Thema Netzwerke der koordinierten Versorgung einen runden Tisch einzuberufen. Bleibt zu hoffen, dass dieser dem Grundsatz der integrierten Versorgung gerecht wird.

Bildlegende

Der Bundesrat schlägt vor, Netzwerke zur koordinierten Versorgung als Leistungserbringer zuzulassen. Im Unterschied zu bereits bestehenden Netzwerken wären diese jedoch bewilligungs- und aufsichtspflichtig und unterlägen staatlichen Vorgaben.

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