Ein riskanter Schritt

Das Parlament will es Krankenkassen erlauben, die Leistungen bestimmter Ärzte, Kliniken oder Praxen nicht mehr zu vergüten. Der Vorschlag irritiert angesichts der Tatsache, dass der Fachkräftemangel aktuell eines der drängendsten Probleme im Gesundheitswesen ist.

Die Gesundheitskosten beschäftigen die Politik weiterhin. Weil aber im stark regulierten Gesundheitswesen wenig Spielraum für Kosteneinsparungen bleibt, wird zurzeit eine alte Idee wieder aufgewärmt: Die Vertragspflicht im Gesundheitswesen soll aufgehoben werden. Der Nationalrat hat in der Frühlingssession eine entsprechende Motion von Mitte-Ständerat Peter Hegglin gutgeheissen. Die kleine Kammer hatte das Anliegen bereits im Herbst 2024 gestützt. Nun ist der Bundesrat aufgefordert, eine Gesetzesvorlage zu entwerfen.

Heute müssen die Krankenversicherer die Leistungen jedes zugelassenen Leistungserbringers bezahlen. Dies ermöglicht die freie Arzt- und Spitalwahl. Neu könnten beispielsweise Ärzte, die vermeintlich zu viele Leistungen abrechnen, von einer Krankenkasse ausgeschlossen werden. Patientinnen und Patienten müssten sich im Voraus erkundigen, ob ihre Arztrechnung von der Krankenkasse übernommen wird, und allenfalls einen anderen Arzt wählen – oder die Kasse wechseln.

Interesse an «günstigen Ärzten»
Das Parlament sieht in der Aufhebung der Vertragspflicht ein Mittel gegen die steigenden Gesundheitskosten und für mehr Qualität in der Versorgung. Aber: Diese beiden Ziele bilden einen Widerspruch. Die Befürworter gehen davon aus, dass die Krankenkassen die qualitativ besten Ärzte unter Vertrag nehmen würden, um für die Patienten attraktiv zu sein. Gleichzeitig haben die Versicherer aber ein Interesse daran, vor allem mit «günstigen» Leistungserbringern zusammenzuarbeiten, ohne die Qualität der Versorgung zu berücksichtigen. Ärztinnen und Ärzte, die viele chronisch Kranke betreuen und deshalb hohe Rechnungen generieren, würden unter Druck geraten. Die Qualität der Versorgung wird dadurch nicht besser. Und: Bereits heute können die Krankenkassen gegen Ärzte vorgehen, die unnötig viel behandeln oder den gesetzlichen Qualitätsansprüchen nicht genügen.

Schlechter Zeitpunkt
Nicht nur die Begründung des Vorschlags irritiert, auch der Zeitpunkt ist denkbar schlecht, um die Vertragspflicht aufzuweichen. Das hat zwei Gründe.

Erstens: Der Fachkräftemangel ist eines der drängendsten Probleme im Schweizer Gesundheitswesen. Wird die Vertragspflicht aufgehoben, werden die beruflichen Rahmenbedingungen noch unattraktiver. Dies wird angehende oder junge Ärztinnen und Ärzte davon abhalten, den Beruf zu ergreifen oder im Beruf zu bleiben. Dazu kommt: Die Gesundheitsfachpersonen klagen seit Jahren über die grosse administrative Belastung. Mit der Aufhebung der Vertragspflicht würde die Bürokratisierung weiter zunehmen.

Zweitens: Seit drei Jahren kann jeder Kanton die Zulassung für Ärztinnen und Ärzte bestimmter Fachrichtungen beschränken. Die Befürworter der Motion meinen, diese Massnahme hätte nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Tatsache ist jedoch: Es ist zu früh, um dies beurteilen zu können. Das findet sogar Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Künftig könnten Ärztinnen und Ärzte, die von den Kantonen zugelassen worden sind, von der Krankenkasse abgelehnt werden, was faktisch einem Berufsverbot gleichkommt. Verunsicherung sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten ist vorprogrammiert.

Alle Macht den Krankenkassen?
Nicht zuletzt stellt sich eine strategische Frage: Wird die Vertragspflicht aufgehoben, dürfen Versicherer Leistungserbringer auswählen und damit das Gesundheitswesen steuern. Wozu will das Parlament – als Vertreter der Patientinnen und Patienten – die Lenkung des Gesundheitswesens freiwillig den Krankenkassen überlassen, die immer auch ihre eigenen Interessen verfolgen? Warum sollen die Versicherer entscheiden, welche Qualitätsmerkmale ein Leistungserbringer in der Schweiz erfüllen muss?

Parlament und Stimmvolk haben sich in den letzten 30 Jahren mehrmals für die Vertragspflicht und damit für die freie Arztwahl ausgesprochen. Rund drei Viertel der Bevölkerung beschränken sich heute freiwillig und setzen auf ein Hausarzt- oder Telemedizin-Modell, im Austausch für eine Prämienverbilligung. Das spart tatsächlich Gesundheitskosten, lässt den Patienten aber dennoch die freie Wahl. Die Aufhebung der Vertragspflicht hingegen sorgt für Unruhe und Unsicherheit, ohne Kosten zu sparen.

Bildlegende

Die Bevölkerung hat sich in den letzten 30 Jahren mehrfach für die freie Arztwahl und damit gegen die Aufhebung der Vertragspflicht ausgesprochen. Trotzdem muss der Bundesrat nun eine entsprechende Gesetzesvorlage ausarbeiten.

Bild: Keystone

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