
Randregionen nicht im Stich lassen
In manchen peripheren Regionen der Schweiz steht es kritisch um die medizinische Versorgung. Darunter leiden nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch der Zusammenhalt des ganzen Landes.
Die Schweizer Berggebiete waren anfangs des 20. Jahrhunderts bekannt für ihre Höhenkliniken. Tuberkulose-Patienten aus ganz Europa reisten in die Schweiz, um ihre Krankheit in der Höhenluft zu kurieren. Heute hingegen steht in vielen ländlichen Regionen die medizinische Grundversorgung unter Druck. Es fehlen Haus- und Kinderärzte, und Regionalspitäler können nicht mehr kostendeckend arbeiten. Etliche Gemeinden in Berggebieten und ländlichen Räumen, vor allem im Jurabogen und in den inneralpinen Tälern, sind bereits heute unterversorgt. Dies stellt die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete in einem Positionspapier fest. Und: Mit dem demografischen Wandel werde sich die Situation weiter verschärfen.
Praktizieren auf dem Land
Unter anderem sind drei Faktoren für die schwierige Versorgungslage verantwortlich: Erstens arbeiten junge Ärztinnen und Ärzte oftmals lieber in Städten, wo sie bessere Infrastrukturen haben. Zweitens führt die dünne Ärztedichte in ländlichen Gebieten zu grösserer Belastung durch mehr Notfalldienste und mehr Verantwortung für jeden Einzelnen. Drittens gibt es in Randregionen mehr ältere Personen als in urbanen Gebieten. Das bedeutet mehr Abstimmung mit Heimen, Spitexdiensten oder mit Fachärzten – ein Aufwand, der auf Kosten der direkten Patientenbehandlung geht und nur ungenügend abgegolten wird. Dazu kommt der allgemeine Fachkräftemangel. Er macht Spitälern, Spitexdiensten und Pflegeheimen im ganzen Land zu schaffen. Weil das Personal fehlt, müssen regionale Spitäler vermehrt Abteilungen schlies sen oder ihre Angebote zusammenlegen. Zwar betonen Gesundheitsökonomen schon lange, es gebe in der Schweiz im Verhältnis zur Einwohnerzahl zu viele Spitäler. In Randregionen ist eine dezentrale Gesundheitsversorgung mit kleinen Regionalspitälern und Gesundheitszentren aber kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Denn in einer gesundheitlichen Krise kann man Patienten keinen zweistündigen Anfahrtsweg zum nächsten Arzt zumuten.
Ein Teufelskreis
Problematisch ist die Entwicklung nicht nur für die betroffene Bevölkerung. Eine ungenügende medizinische Versorgung kann auch die Entwicklung einer Region hemmen: Junge Familien sind nicht bereit, in Bergdörfern oder auf dem Land zu wohnen, wenn medizinische Leistungen, wie zum Beispiel eine Geburtsabteilung im Spital oder ein Kinderarzt, fehlen. Das wiederum verschärft den Fachkräftemangel – ein Teufelskreis. Somit ist die medizinische Versorgung ein wichtiger Faktor für die Standortattraktivität. Für die Schweiz ist diese Perspektive nicht zu vernachlässigen. Denn die Berggebiete sind nicht nur landschaftlich prägend, sondern auch ein identitätsstiftender Lebens- und Wirtschaftsraum. Werden die Randregionen medizinisch abgehängt, vergrössert dies den bestehenden Stadt-Land-Graben.
Dezentral und vergleichsweise kostengünstig
Ein Beispiel, wie die Politik diese Herausforderung angehen kann, ist Graubünden. Dem flächengrössten Kanton in der Schweiz ist es gelungen, eine dezentrale Grundversorgung aufzubauen, die allen Einwohnern Zugang zu medizinischer Versorgung gewährleistet, auch in so abgelegenen Gebieten wie dem Münstertal und dem Bergell. Um die Gesundheitskosten trotzdem vergleichsweise tief zu halten, arbeiten die Gesundheitseinrichtungen in den Regionen eng zusammen. Konkret bedeutet das etwa, dass eine Spitalabteilung, eine Arztpraxis und ein Pflegeheim unter einem Dach untergebracht sind. Solche Modelle entsprechen auch den Bedürfnissen der Bevölkerung. Allerdings mussten mittlerweile auch hier sehr kostenintensive Bereiche wie die Chirurgie gestrichen werden, Gesundheitszentren kämpfen mit finanziellen Problemen. Und wie überall bleibt der Fachkräftemangel eine Herausforderung.
Die Politik ist gefragt
Wie kann die Politik die medizinische Versorgung in Randgebieten fördern? Ein erster Schritt wäre es, mehr Medizinstudierende auszubilden. Gleichzeitig sollten die Arbeitsbedingungen attraktiver werden, damit sich mehr junge Ärztinnen und Ärzte in ländlichen Regionen niederlassen. Zusätzlich wäre es sinnvoll, die Tarifstrukturen so anzupassen, dass die Koordinationsarbeit zwischen Ärzten und anderen Gesundheitsberufen besser abgebildet ist. Auch Kantone und Gemeinden können ihren Teil beitragen, indem sie Ärzte finanziell oder organisatorisch unterstützen – etwa bei der Übernahme einer bestehenden oder bei der Gründung einer neuen Praxis.
Bildlegende
Etliche Gemeinden in ländlichen Gebieten sind heute medizinisch unterversorgt. Die dünne Ärztedichte schwächt die Standortattraktivität und belastet die noch verbleibenden Ärzte stärker – ein Teufelskreis.
Bild: Keystone