Wenn Medikamente zur Mangelware werden

Immer häufiger fehlen in der Schweiz lebenswichtige Medikamente. Für Ärztinnen, Ärzte sowie Patientinnen und Patienten ist das eine tägliche Belastung. Mit der Initiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» und dem direkten Gegenvorschlag stehen nun zwei Lösungsvorschläge im Raum.

Ein Patient mit fehlendem Blutdruckmittel, einem Anti­ biotikum, das nicht lieferbar ist: Szenen wie diese erleben Hausärzte und Spitalärztinnen inzwischen regel­ mässig. Statt direkt behandeln zu können, beginnt die Suche nach einem alternativen Medikament: Dosierung anpassen, mögliche Wechselwirkungen prüfen, zusätzliche Gespräche führen – alles Aufgaben, die eigentlich vermeidbar wären. Sie kosten Zeit, und die Situation verunsichert Patientinnen und Patienten. Im Herbst 2024 waren über 1000 Medikamente in der Schweiz nicht lieferbar. Das Problem ist seit Jahren bekannt, hat sich aber zu einer Dauerkrise entwickelt.

Anfällige Lieferketten

Schuld ist wie so oft im Gesundheitswesen der einseitige Fokus auf die Kosten. Häufig gibt es für Wirkstoffe, Hilfsstoffe und sogar für Verpackungen nur einen einzigen Hersteller. So sind die Medikamente zwar günstiger, aber wenn ein Produzent irgendwo auf der Welt ausfällt, ist das Medikament nicht mehr erhältlich. Als kleiner Absatzmarkt steht die Schweiz dabei oft hinten an. Zusätzlich kompliziert ist die Lage, weil die Zuständigkeiten auf verschiedene Instanzen verteilt sind. Das System der Pflichtlager in der Schweiz beruht auf einer Zusammenarbeit zwischen Privatwirtschaft und Staat. Die Unternehmen verpflichten sich, Vorräte bestimmter Medikamente einzurichten und zu verwalten. Die Kantone sind grundsätzlich zuständig für das Gesundheitswesen in ihrem Hoheitsgebiet. Der Bund springt in schweren Mangellagen oder in einer Pandemie ein.

Initianten fordern verbindliche Vorgaben

Ein Initiativkomitee will die Versorgung mit Arzneimitteln nun in der Bundesverfassung verankern. Das Komitee «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» besteht aus Vertretern der Apotheker, der Ärzteschaft und der Pharmabranche. Gemäss Initiativtext soll der Bund Unternehmen beauftragen und dafür bezahlen, dass sie Vorräte wichtiger Heilmittel anlegen. Um die Lieferketten resilienter zu machen, soll die Schweiz mit dem Ausland zusammenarbeiten. Weiter soll die Erforschung, Entwicklung und Herstellung von Medikamenten in der Schweiz gefördert werden. Auch beim Vertrieb soll der Bund das Zepter übernehmen: Er soll Rahmenbedingungen schaffen, um den Vertrieb von wichtigen Heilmitteln in allen Landesgegenden sicherzustellen, selber aber keine Güter oder Dienstleistungen anbieten. Die Forderungen der Initiative decken somit die gesamte Wertschöpfungskette ab, von der Forschung und Entwicklung bis hin zur Abgabe von Heilmitteln.

Der Gegenvorschlag des Bundesrats

Der Bundesrat will eine andere Richtung einschlagen, um dasselbe Ziel zu erreichen. Denn prinzipiell teilt er die Anliegen der Initianten. Eine Umsetzung gemäss Initiativtext könne aber zu übermässig starren Regeln führen und überschneide sich mit bestehenden Massnahmen. Stattdessen will der Bundesrat nur dort mehr Kompetenzen, wo es am häufigsten zu Engpässen kommt: günstige Medikamente mit abgelaufenem Patentschutz, zum Beispiel Schmerzmittel, Impfstoffe oder Antibiotika. Hier soll der Bund den Markt überwachen. So könnte man bei drohenden Lücken, oder auch zur Vorbeugung von Engpässen, gezielt eingreifen. Weiter soll der Bund wirtschaftliche Anreize für die Produktion und Lagerung von Medikamenten setzen, Beschaffungen tätigen sowie medizinische Güter selbst herstellen oder herstellen
lassen dürfen.

Die Perspektive der Ärzteschaft

Aus ärztlicher Sicht ist klar: Patientinnen und Patienten erwarten zu Recht, dass ihre Medikamente verfügbar sind. Und die Folgen fehlender Medikamente sind verheerend: Krankheitsverläufe können sich verschlechtern – was wiederum zu längeren Behandlungen, mehr Spitalaufenthalten und höheren Kosten führt. Wenn Patientinnen und Patienten das Gefühl haben, nicht mehr sicher versorgt zu sein, suchen sie vermehrt Notfallstationen auf oder verzichten gar auf notwendige Behandlungen. Das belastet das gesamte System.

Nötig sind wirksame Massnahmen, die die Versorgung mit essenziellen – nicht nur mit lebenswichtigen – Medikamenten langfristig sichern. Ob über Initiative oder Gegenvorschlag – entscheidend ist, dass die Politik verbindliche Schritte beschliesst. Dazu ist es nötig, nicht nur die marktwirtschaftliche Perspektive oder die kurzfristigen Kosten im Blick zu behalten, sondern auch die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten. Das Springen von einer Notlösung zur andern steht einem qualitativ hochstehenden Gesundheitssystem wie jenem der Schweiz schlecht an.

Bildlegende

Immer häufiger sind wichtige Medikamente in der Schweiz nicht lieferbar. Eine Initiative will die Versorgungssicherheit nun in der Verfassung verankern

Bild: Keystone

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