Bremsen und Beschränken

Gegen Kostenwachstum und Prämienlast: Im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen im Herbst 2019 wollen sich politische Parteien mit Initiativen profilieren. Was taugen ihre Ideen?

Am 20. Oktober 2019 wählen Schweizerinnen und Schweizer ein neues Parlament. Wenige Monate vor der Wahl bringen sich politische Parteien öffentlichkeitswirksam in Stellung und lancieren Volksinitiativen gegen die wachsenden Gesundheitskosten und steigenden Krankenkassenprämien. Politik+Patient nimmt die Initiativen der CVP und der SP unter die Lupe.

Kostenbremse
Wachsen die Gesundheitskosten stärker als die Löhne, sind Bund und Kantone verpflichtet, Gegenmassnahmen zu ergreifen. Das verlangt die CVP mit ihrer Initiative. Sie setzt dabei auf eine Kostenbremse. Die Grundidee: Die Kosten pro Versichertem in der Grundversicherung werden mit einem Indikator abgeglichen. Entwickeln sich die Kosten stärker als der Indikator, ist der Bundesrat angehalten, kostendämpfende Massnahmen zu erlassen. Welche das sind, lässt die Initiative bewusst offen. Auch den Indikator will die CVP nicht genauer definieren. Mit ihrer Idee der Kostenbremse stossen die Christdemokraten auf Skepsis. Economiesuisse, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft, sieht erhebliche konzeptionelle Probleme.

Unlösbare Planungsaufgabe
Aus Sicht von Economiesuisse gehen die Befürworter der Kostenbremse vom falschen Vorbild aus: der Schuldenbremse des Bundes. Diese bezieht sich nur auf das Budget eines einzigen Akteurs. Das Gesundheitswesen ist aber viel komplexer. 2016 zählte es beinahe 400’000 Beschäftigte in der Schweiz. Im Gesundheitswesen kommen unzählige Leistungserbringer und Zulieferer sowie mehrere Finanzierer zusammen. Alleine der ambulante Ärztetarif umfasst rund 4500 Positionen und pro Jahr verarbeiten die Krankenversicherer etwa 100 Millionen Rechnungsbelege. Eine Kostenbremse verlangt nach einem Budget. Bund und Kantone müssten dieses verabschieden und gleichzeitig bestimmen, wer welchen Anteil am Budget beanspruchen darf. Für Economiesuisse ist das eine unlösbare Planungsaufgabe. Hinzu kommt die Dynamik: Mit dem demografischen Wandel und der technologischen Entwicklung müssten diese Entscheidungen über die Zeit angepasst werden. Economiesuisse warnt: «Eine Kostenbremse führt nicht nur zur Staatsmedizin, sondern auch zu zentralisierten Entscheidungen über Krankheit, Leiden und Tod.»

Politische Agenda des BAG?
Neben der CVP sammelt auch die SP in den nächsten Monaten Unterschriften. Mit ihrer Initiative wollen die Sozialdemokraten die Prämienbelastung auf zehn Prozent des verfügbaren Einkommens beschränken. Sie fordern eine schweizweite Harmonisierung der Prämienverbilligungen. Ihr Vorschlag: Künftig sollen Bund und Kantone die Verbilligungen nach einem vorgegebenen Verteilschlüssel finanzieren und sie von den Ergänzungsleistungen und der Sozialhilfe entflechten. Anders als die CVP wird die SP bei den Grundlagen bereits konkret. Sie schlägt vor, das verfügbare Einkommen anhand der steuerbaren Einkünfte zu berechnen. Von ihren Ideen verspricht sich die SP eine gerechtere Finanzierung der obligatorischen Krankenversicherung.

Allerdings hat das Ansinnen in den letzten Wochen einen schalen Beigeschmack erhalten. Anfang Dezember 2018 veröffentlichte das unter SP-Führung stehende Bundesamt für Gesundheit (BAG) neue Zahlen zur Prämienlast von Schweizer Haushalten. Gemäss Bericht wendeten Haushalte in allen Kantonen durchschnittlich 14 Prozent ihres verfügbaren  Einkommens für Krankenkassenprämien auf. Doch diese Zahl ist zu hoch, wie die Neue Zürcher Zeitung kürzlich aufdeckte. Die Zeitung rechnete selber nach. Sie blieb mit ihren Auswertungen immer unter der von der Initiative geforderten Zehn-Prozent-Grenze. So steht nun der Verdacht im Raum, dass das BAG die Prämienbelastung künstlich hochrechnete. Weil eine hohe Belastung Wasser auf die Mühlen der SP-Initiative ist, warf die NZZ gar die Frage auf, ob das BAG eine politische Agenda fährt.

Es bleibt abzuwarten, ob die Initiative aufgrund ihrer umstrittenen Grundlage und der hohen zusätzlichen Kosten, die SP rechnet mit zusätzlichen Kosten von 3,6 Milliarden Franken für Bund und Kantone, beim Stimmvolk mehrheitsfähig ist.

Griffige Rezepte gegen das Kostenwachstum
Beide Initiativen konzentrieren sich auf das Kostenwachstum und verzichten auf das Verändern von Anreizen im System. Aus Sicht der Ärzteschaft wäre dies aber der zielführende Weg. «In der einheitlichen Leistungsfinanzierung schlummert ein Effizienzpotenzial von rund 3,1 Milliarden Schweizer Franken», rechnete die FMH vor. Es ist eine Kostenersparnis ohne qualitative Einbussen für die Patienten. Denn: Die einheitliche Finanzierung fördert die Verlagerung von stationären zu ambulanten Leistungen, steigert die Attraktivität integrierter Versorgungsmodelle und reduziert den Koordinationsaufwand zwischen Versicherern und Kantonen. Die einheitliche Finanzierung stösst auf grosse Akzeptanz: Ein breites Bündnis von Ärztegesellschaften, Patientenschutzorganisationen, Versicherern und Vertretern der Pharmaindustrie unterstützt den Wechsel des Finanzierungsmodells. Weitere Einsparungen lassen sich über die Reduktion der administrativen Belastung realisieren: Alleine für die Bewirtschaftung von Patientendossiers wenden Spitalärzte heute knapp einen Fünftel ihrer Arbeitszeit auf. Dieser Kostenfaktor hat bislang kaum politische Aufmerksamkeit erregt.

Bildlegende

Wählerstimmen im Visier: CVP-Präsident Gerhard Pfister will mit der Kostenbremse-Initiative punkten. (Bild: Keystone)

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