8,2 Milliarden Franken Kosteneinsparung dank Digitalisierung?

Das Schweizer Gesundheitswesen tut sich schwer mit der Digitalisierung. Der Effizienzgewinn birgt jedoch nicht nur Sparpotential.

Sagenhafte 8,2 Milliarden Franken: So viel könnte das Schweizer Gesundheitssystem pro Jahr sparen, würde die Digitalisierung konsequent umgesetzt. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine Studie des Beratungsunternehmens McKinsey & Company in Kooperation mit der ETH Zürich. 8,2 Milliarden: Das ist rund ein Zehntel der jährlichen Gesundheitsausgaben. Laut Studie spart die Schweiz durch bisherige Digitalisierungsmassnahmen erst maximal 350 Millionen Franken – was weit unter dem Gesamtpotential liege.

Die Studienautoren haben 26 spezifische digitale Technologien betrachtet und deren Einsparungspotential geschätzt. Basis der Schätzungen waren über 500 wissenschaftliche Publikationen, darunter Studien, die Effekte von Digitalisierungs-Projekten in Spitälern und Arztpraxen erhoben. Fast die Hälfte des geschätzten Einsparungspotentials entfällt dabei auf Technologien, die von Patienten genutzt werden können.

Online-Interaktion und Fernüberwachung

So berge Online-Interaktion laut der Studie ein Potential von 2,6 Milliarden Franken. Das schliesst zum Beispiel Fernkonsultationen bei Nachuntersuchungen oder unkomplizierten Anfragen ein. Auch die Fernüberwachung bei chronisch kranken Hochrisikopatienten ist ein Thema und würde die Kosten stationärer Krankenhausaufenthalte reduzieren. Eine weitere Effizienzsteigerung würde die E-Triage bieten, bei der online oder übers Telefon vorab abgeklärt wird, ob ein Besuch zum Beispiel in der Notaufnahme notwendig ist.

Weiter deutet die Studie in Richtung Patientenselbstmanagement. Hier unterstützen digitale Instrumente die Patienten dabei, ihre Gesundheit und Genesung selbst zu überwachen und zu fördern. Stichworte sind medizinische Chatbots – also Chat-Roboter – zur Beantwortung einfacher Fragen, digitale Diagnostik, die eine Ferndiagnose ermöglicht, Messgeräte zur Fernüberwachung bei chronischen Krankheiten aber auch Onlinekurse, zum Beispiel bei Verhaltenstherapien.

Auf Seite der Leistungserbringer Würden Automatisierungen und digitale Vernetzung zu mehr Effizienz führen. Dazu gehört Robotik in der Krankenhauslogistik, eine barcodegestützte Medikamentenverabreichung sowie Behandlungsempfehlungen, welche durch künstliche Intelligenz auf Basis individueller Patientendaten erstellt werden. Weitere Massnahmen betreffen E-Rezepte und vor allem das elektronische Patientendossier.

Vergleich mit dem Ausland

Die Studienautoren schreiben, dass diese Massnahmen nicht nur zu Kosteneinsparungen führen würden, sondern auch zu einer höheren Behandlungsqualität und besseren Gesundheitsergebnissen. Dafür ziehen sie Best Practices aus anderen Ländern wie Schweden oder Italien heran, in denen die Massnahmen bereits angewandt werden. In Schweden zum Beispiel nutzen bereits 17 Prozent der Bevölkerung digitale Sprechstunden. Fernkonsultationen in der Schweiz werden demgegenüber hauptsächlich im Rahmen von alternativen Versicherungsmodellen angewendet: 2019 waren 13 Prozent der Bevölkerung in einem Telemed-Modell versichert. Telemedizinische Angebote erlebten während der Pandemie zwar einen Boom und die Tarife deckten vorübergehend auch Fernkonsultationen. Dies wurde im Sommer 2021 jedoch wieder aufgehoben. Fernkonsultationen haben sich in der Schweiz also trotz der Pandemie nicht etabliert.

Auch die inkonsequente Einführung des elektronischen Patientendossiers bemängeln die Studienautoren. Zwar habe die Schweiz 2017 die Einführung des elektronischen Patientendossiers vorgeschrieben, allerdings nur für stationäre Leistungserbringer.

Als Gründe für die generell zögerliche Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen nennen die Autoren fehlende Anreize, Skepsis, Datenschutz- und Haftungsbedenken sowie die föderalistische Struktur. Die Kosten, welche die Implementierung der Digitalisierung verursachen, sind im Sparpotenzial von 8,2 Milliarden Franken zudem nicht eingerechnet. Ob dieses Sparversprechen in Realität angesichts der Hürden überhaupt vollumfänglich eingelöst werden könnte, ist mehr als fraglich.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Patientinnen und Patienten schon heute Mühe haben, Gesundheitsinformationen zu beurteilen und sich im Gesundheitswesen zurechtzufinden (siehe Frontartikel). Die teilweise mangelhafte Gesundheitskompetenz der Bevölkerung könnte die Kosten der Digitalisierung erhöhen.

Gewisse Vorschläge der Studie sind zudem schlichtweg nicht im Interesse der Patienten. Ein Chatbot kann auch für eine simple Diagnose den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch nicht ersetzen. Die gesellschaftlichen Folgekosten der wegrationalisierten Empathie und Nähe müssten dem Sparpotential abgezogen werden.

Trotzdem zeigt die Studie: Die Digitalisierung sollte stärker genutzt werden; und zwar dort, wo sie eine Effizienzsteigerung ohne Qualitätseinbusse bringt, zum Beispiel in Form eines in der ganzen Schweiz verwendbaren Medikamentenplans. Solche Chancen sollte die Schweiz nutzen. In der Digitalisierung ein Universalheilmittel gegen steigende Gesundheitskosten zu sehen, wäre aber naiv.

Bildlegende

Der Chatbot ist günstiger als der Besuch beim Hausarzt: wie sich im Gesundheitswesen 8,2 Milliarden Franken einsparen lassen.

Bild: iStock

Scroll to top icon