Krankheit als Metapher

Vor einigen Wochen las ich «Illness as Metaphor» von Susan Sontag und seither kann ich nicht aufhören, darüber nachzudenken. Ein Gastkommentar.

Vor einigen Wochen las ich «Illness as Metaphor» von Susan Sontag und seither kann ich nicht aufhören, darüber nachzudenken.

In diesem Buch geht es nämlich darum, weshalb einige Krankheiten als Metaphern gelesen werden, und da habe ich etwa erfahren, dass man im 19. Jahrhundert noch annahm, feinfühlige Leute wie Dichter seien besonders «Schwindsucht»- (also: Tuberkulose) gefährdet.

Aus heutiger Sicht ist das natürlich Irrsinn, aber Sontag leitet daraus die These ab: Je weniger wir über eine Krankheit wissen, desto anfälliger ist sie für Mythen und Stigmata. Das stimmt auch für Pandemien: Die Beulen Pest deutete man schliesslich einst als Strafe durch eine höhere Macht. Und die Cholera sah man als Zeichen dafür, dass die moralische Ordnung aus den Fugen geraten sei.

Sontag, so könnte man sagen, schärft mit «Illness as Metaphor» (1978) also unseren Blick dafür, dass Krankheiten nie im luftleeren Raum stattfinden, sondern stets in eine «Erzählung» eingebettet werden – was heikel sein kann. Als die Autorin 1975 zum Beispiel selbst an Krebs erkrankte, litt sie stark unter brutalen Sprachbildern wie «bösartiger Tumor».

Jedenfalls fragte ich mich dann, ob auch COVID-19 metaphorisch aufgeladen wird, und da fiel mir auf, dass unsere Sprache schon extrem ist: Coronaviren «attackieren» die Atemwege. Kinder sind potenzielle «Virenschleudern». Und Emmanuel Macron sagte im März 2020 sogar: «Wir sind im Krieg.»

Ob die Pandemie aber als Ganzes überh.ht wird, weiss ich nicht. Auf der einen Seite wird die Debatte zum Glück sehr sachlich geführt (7-Tages-Inzidenzen, R-Werte) – aber ehrlich gesagt ertappe ich mich schon immer wieder bei Gedanken wie: «Das haben wir jetzt von unserem kapitalistischen Exzess.» Aber Sontag würde vermutlich sagen: Bleib cool. Höre auf die Wissenschaft, aber projiziere niemals deine Weltanschauung auf eine Krankheit. Niemals.

Eine längere Version dieses Texts ist bereits in «Das Magazin» erschienen.

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