Pandemie und Psyche

Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass die Corona-Pandemie auch die psychische Gesundheit vieler Menschen bedroht. Was sind die Gründe dafür, und was muss bei der Entscheidung über zukünftige Massnahmen im Blick behalten werden?

In Medien und Politik erhielt eine Gruppe von Corona- Betroffenen bisher erstaunlich wenig Beachtung: Menschen mit psychischen Erkrankungen. Dabei waren in der Schweiz bereits vor Ausbruch der Krise rund 18 Prozent der Bevölkerung von einer oder mehreren psychischen Erkrankungen betroffen. Und im Verlauf der Krise ist diese Zahl angestiegen.

Nachfrage nach Hilfsangeboten steigt
In der mehrteiligen Online-Befragung «Swiss Corona Stress Study» der Universität Basel berichteten vor der Corona-Krise nur rund drei Prozent der Befragten von schweren depressiven Symptomen, im ersten Lockdown Ende April waren es neun Prozent – und im November 2020 stieg der Anteil bei den Befragten der Studie auf ganze 18 Prozent. Die Studie ist nicht repräsentativ, deutet aber auf eine Tendenz in der Bevölkerung hin, mehr psychische Probleme bei sich wahrzunehmen. Wie verschiedene Zeitungen berichten, erfasste die Dargebotene Hand im Jahr 2020 einen Anstieg von Anrufenden mit Suizidgedanken; auch Angststörungen sind häufiger geworden.

Wir haben die Dachorganisation der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen ÄrztInnen der Schweiz (FMPP) im Dezember 2020 nach den Gründen für den Anstieg psychischer Erkrankungen gefragt. Sie sind zahlreich: Sehr selten kann das Virus biologische Veränderungen im Gehirn auslösen; bei neu auftretenden Symptomen müsse man auch an eine aktuelle oder vergangene Infektion denken. Viel häufiger seien aber Störungen, die mit psychischen Reaktionen auf die Bedrohung zu tun haben. Die FMPP unterscheidet direkt vom Virus Betroffene in Isolation oder Quarantäne von indirekt Betroffenen, die beispielsweise einer Risikogruppe angehören oder erkrankte oder verstorbene Angehörige haben. Daneben können auch die sozialen Einschränkungen, wirtschaftliche Sorgen und der Verlust des Arbeitsplatzes die psychische Gesundheit belasten. Hier seien Menschen besonders gefährdet, die bereits vor der Krise psychisch erkrankt sind: Diese leben tendenziell in schlechteren sozioökonomischen Situationen als die Allgemeinbevölkerung.

Jugendliche sind besonders gefährdet
Sowohl Senioren als auch Jugendliche sind von den psychischen Folgen der Krise besonders stark betroffen. Die älteren Generationen leiden unter Einsamkeit. Und bei den Jungen sind die Zahlen erschreckend: Im November gaben ganze 38 Prozent der Jugendlichen an, sich «nie, selten oder manchmal» glücklich zu fühlen. Verschiedene psychiatrische Kliniken für Kinder und Jugendliche verbuchen stark steigende Zahlen von Einweisungen; die FMPP geht von einer schweizweiten Zunahme der Notfallkonsultationen von 30 bis 50 Prozent aus.

Die psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen ÄrztInnen der FMPP sehen dafür viele Gründe: Die monatelange Unsicherheit, die Kontakteinschränkungen, Sorgen und Ängste sowie unerwartete Belastungen fallen bei Minderjährigen in essentielle Entwicklungsphasen. Kritische Übergange, wie vom Kindergarten in die Schule oder von der Schule zum Berufseinstieg, seien dabei besonders sensibel. Dazu kommt, so die FMPP: «Das haltgebende Umfeld – Eltern, Grosseltern, Kindergärten und Schulen – ist selbst so stark von der Pandemie betroffen, dass es Belastungen deutlich weniger als gewohnt kompensieren kann.» Viele Lehrkräfte, Eltern und sonstige Bezugspersonen haben selbst mit psychischen Folgen der Krise zu kämpfen, statt der Jugend eine Stütze sein zu können.

Angespannte Versorgungssituation
Die FMPP betont, dass der starke Anstieg psychischer Erkrankungen in dieser Krise auch deshalb problematisch ist, weil die Versorgungssituation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie schon vor der Pandemie angespannt war: «Diese Notfälle müssen zu einem grossen Teil von den institutionellen Einrichtungen aufgefangen werden, weil die niedergelassenen Psychiater und Psychiaterinnen ausgebucht sind.»

Die Politik müsse nun reagieren und dafür sorgen, dass die Betreuung Betroffener garantiert bleibt: Behandlungen per Video- oder Telefongespräch müssen Behandlungen vor Ort weiterhin gleichgestellt sein, bis die Krise überwunden ist (die aktuelle Ausnahmeregelung läuft am 28. Februar 2021 aus). Es braucht genügend Personal für die ambulante und stationäre Behandlung von Risikopatienten. Die Prävention muss ausgebaut werden. Und auch personalintensive vorübergehende Massnahmen, wie eine 1:1-Betreuung bei suizidalen Kindern und Jugendlichen, sollten von der Politik unterstützt werden.

Schliesslich ist eine gute psychische Verfassung der Bevölkerung nicht zuletzt auch für die Bewältigung der Krise wichtig: Damit die geforderten Verhaltensregeln eingehalten werden, für die Behandlungs-Compliance und vermutlich, wie man von vielen anderen Erkrankungen weiss, sogar für eine rasche Genesung.

Die Foederatio Medicorum Psychiatricorum et Psychotherapeuticorum (FMPP) ist die Dachorganisation der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen ÄrztInnen der Schweiz. Sie besteht aus der Fachgesellschaft der ErwachsenenpsychiaterInnen (SGPP) sowie derjenigen der Kinder- und JugendpsychiaterInnen (SGKJPP).

Bildlegende

Kinder und Jugendliche sind von den psychischen Folgen der Krise besonders stark betroffen. Die monatelange Unsicherheit, Sorgen und unerwartete Belastungen durch die Corona-Krise können bei Minderjährigen in essentielle Entwicklungsphasen fallen.

Bild: Alamy

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