TARDOC – das erste Opfer der zukünftigen Staatsmedizin?

Anfang Juni vertagte der Bundesrat den Entscheid zum TARDOC erneut. Die Revision ist damit um Jahre verzögert. Die Nicht- Genehmigung ist für die Mehrheit der Tarifpartner unverständlich. Sie lässt sich nunmehr in einem grösseren Kontext erklären.

Anfang Juni beschliesst der Bundesrat, den Arzttarif TARDOC ein weiteres Mal nicht zu genehmigen. Damit stösst er die Tarifpartner vor den Kopf und riskiert einen Scherbenhaufen. Im TARDOC steckt viel Arbeit: Die Tarifpartner legten dem Bundesrat die erste Version des TARDOC bereits 2019 zur Genehmigung vor und ergänzten ihn gemäss den Forderungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) insgesamt drei Mal: im Juni 2020, im März 2021 und im Dezember 2021.

Keine valablen Gründe für die Nicht-Genehmigung

Grund für die erneute Nicht-Genehmigung ist laut Bundesrat, dass die Kostenneutralität nach wie vor nicht erfüllt sei. Bis Ende 2023 sollen nun die Tarifpartner in einer neuen Version aufzeigen, wie die kostenneutrale Einführung des Tarifs sichergestellt wird. Dabei ist die Angst vor Kostensteigerung unbegründet. Sonst würde sich nicht eine Mehrheit der Versicherer (curafutura, SWICA und MTK) hinter den TARDOC stellen. Denn müssen die Prämien erhöht werden, stehen sie am meisten in der Kritik.

Zudem müssen die Tarifpartner ein langfristiges Monitoring und ein Konzept zur Mängelbehebung vorlegen. Damit verändert der Bundesrat die Spielregeln erneut. Kritik übt der Bundesrat auch am Umstand, dass nicht alle Tarifpartner hinter dem TARDOC stehen. Ins Gewicht fallen darf dies aber nicht: Denn der TARDOC vereint alle Leistungserbringer und die Mehrheit der Versicherer. Damit sind die gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt.

Unbefriedigender TARMED

Mit der Nichtgenehmigung verzögert der Bundesrat die Einführung des neuen Tarifs um Jahre – und akzeptiert, dass der heute angewendete TARMED noch länger in Kraft bleibt. Dabei ist er schon heute veraltet. Seit 2004 in Kraft, entspricht er nicht mehr der modernen Medizin. Bleibt er länger in Anwendung, heisst das länger falsche Anreize (z.B. keine Stärkung der Grundversorgung gegen den Ärztemangel) und finanzielle Verschwendung aufgrund der schlechten Ressourcennutzung

Das Argument mit den ambulanten Pauschalen greift nicht

Die Förderung ambulanter Pauschalen wird oft als Argument gegen den TARDOC angeführt. Bei näherer Betrachtung erweist sich die Kritik als blutleer: Alle TARDOC-Partner befürworten Pauschalen, die mit Genehmigung automatisch einzeltarifierte Leistungen ablösen würden.

Die Pauschalen im ambulanten Bereich können zur Reduktion des administrativen Aufwands führen und zur Kostendämpfung beitragen. Sie sind aber kein Wundermittel, das für alle Leistungen funktioniert. Sie sind dann sinnvoll, wenn eine Leistung standardisierbar ist. Im Gegensatz zu stationären Behandlungen erfüllen allerdings nur ca. 20 Prozent der ambulanten Leistungen die Kriterien für eine sinnvolle Anwendung von Pauschalen.

Es spricht also nichts dagegen, den TARDOC einzuführen, ohne auf die ambulanten Pauschalen zu warten.

Die Sache mit dem Globalbudget

Kurz, mit dem TARDOC liegt ein sachgerechter und moderner Tarif vor. Die Kritik daran ist bei näherer Betrachtung haltlos. Es wäre im Sinne der Patienten, diesen rasch einzuführen. Denn der TARDOC führt zu einem schlankeren und transparenteren Tarifsystem, mit dem sich unnötige Kosten einsparen lassen. Und er beseitigt einen Teil des Reformstaus im Schweizer Gesundheitswesen.

Der eine oder die andere mag sich daher fragen, ob dem Bundesrat der Reformstau lieber ist, da er mit immer neuen Forderungen alles blockiert. Klar ist, dass der Reformstau und die Mär von den unwilligen Tarifpartnern dem Bundesrat in die Karten spielt: Gelingt es dem Bundesrat, die diversen Leistungserbringer und Partner im Gesundheitswesen als reformunwillig und konsensunfähig darzustellen, wird früher oder später der Ruf nach staatlicher Intervention laut.

Die Vermutung liegt nahe, dass es dem Bundesrat dabei nicht nur um eine staatlich verordnete Tarifstruktur für ambulante Leistungen geht, sondern um das gesamte Gesundheitswesen. Ein ähnlicher Reformstau liegt beispielsweise aus ebenso schwierig nachvollziehbaren Gründen auch beim Projekt der einheitlichen Finanzierung EFAS vor. Die grosse Debatte im Gesundheitswesen ist aber diejenige um die Kostenbremsen. Könnte es also sein, dass der Bundesrat – entgegen den Aussagen von Alain Berset in der NZZ vom 13. Mai 2022 – den TARDOC scheitern lassen will, um letztlich doch ein Globalbudget einzuführen?

In den TARDOC wurde viel Zeit und noch mehr Energie gesteckt. Er darf nicht das erste Opfer einer zukünftigen Staatsmedizin werden. Der Kampf für den TARDOC ist daher gleichzeitig auch einer gegen die Einführung eines Globalbudgets.

Bildlegende

Immer neue Hürden für den TARDOC, weil der Schiedsrichter nicht will, dass das Ziel erreicht wird?

Bild: iStock

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