Unter einem Dach

Der Kanton Bern, eine private Spitalgruppe und eine Krankenkasse spannen zusammen. Gemeinsam bauen sie im Berner Jura eine neue Gesundheitsorganisation auf.

Die private Spitalgruppe Swiss Medical Network (SMN), die Krankenkasse Visana und der Kanton Bern wagen den Schulterschluss. Gemeinsam bauen sie im Berner Jura eine Gesundheitsorganisation auf. Sie vereint Versicherung, Spitäler, Psychiatrie und mehrere Arztpraxen. Das neue, schweizweit einzigartige Konstrukt nennt sich Réseau de l’Arc.
Die drei Partner haben grosse Pläne. Ihnen schwebt ein gänzlich neues Versorgungsmodell vor – nach dem Vorbild des US-amerikanischen Unternehmens Kaiser Permanente. Dieses betreibt in acht Bundestaaten insgesamt 39 Spitäler, über 700 medizinische Einrichtungen und beschäftigt mehr als 23’000 Ärztinnen und Ärzte.

Versicherte werden zu Mitgliedern
Das Unternehmen ist Versicherung und Leistungserbringer in einem. Es bietet eine integrierte Versorgung an. Patienten, die dem Modell beitreten, zahlen statt Prämien jährliche Beiträge. Mit diesen Einnahmen werden sowohl medizinische Behandlungen als auch versicherungstechnische Leistungen vergütet. Die Idee dahinter: Spitäler und Arztpraxen nehmen Geld ein, unabhängig davon, wie viele Eingriffe sie durchführen. Raymond Loretan, Verwaltungsratspräsident des Swiss Medical Network, präzisiert: «Je besser die Gesundheit der Mitglieder erhalten werden kann, desto grösser ist der wirtschaftliche Nutzen für die Organisation und die partizipierenden Ärzte und desto grösser die Zufriedenheit der Mitglieder.» Aus diesem Grund wollen die Verantwortlichen im Berner Jura gezielt in Prävention und gute Patientenbetreuung investieren. Das tönt vielsprechend.

Anreiz gegeben, Leistungen vorzuenthalten
Dagegen lässt sich einwenden, dass ein solches System den Anreiz setzt, Patienten so wenig wie möglich zu behandeln. Das kann dazu führen, dass beispielsweise Menschen mit chronischen Krankheiten ungenügend versorgt werden. Die Verantwortlichen widersprechen. Falsche oder nicht rechtzeitige Behandlungen führen zu teuren Folgekosten. Auch bestehe keine Zwangsmitgliedschaft: Wer mit dem Modell nicht zufrieden sei, könne es wieder verlassen, so ihre Argumentation.
Fest steht aber, dass Versicherte, die dem Modell beitreten, ihre Behandler nicht mehr frei wählen. Sie können sich nur in Spitälern und Arztpraxen innerhalb der Organisation behandeln lassen. Raymond Loretan sieht in der Einschränkung keine Nachteile für die künftigen Mitglieder: «Schon heute können wir ein breites Behandlungsangebot in der Grundversorgung anbieten. Und dort, wo spezifisches Know-how oder eine besondere Infrastruktur erforderlich ist, arbeiten wir auf Kooperationsbasis mit lokalen Organisationen oder den Zentrumsspitälern in Biel oder Bern zusammen.»

Mangelnde Kommunikation
Bereits im kommenden Jahr wollen die Verantwortlichen das neue Modell lancieren. Es bleibt wenig Zeit, um die lokale Bevölkerung sowie Ärztinnen und Ärzte zu überzeugen. Einer davon ist Roland Brechbühler. Der Hausarzt betreibt in Corgémont eine eigene Praxis. Angesprochen auf die Pläne der neuen Gesundheitsorganisation äussert er sich skeptisch. Brechbühler hätte sich eine proaktivere Kommunikation gewünscht. «Gerüchte über das neue Modell kursierten schon länger. Aber in Ideen eingeweiht oder in Pläne einbezogen, wurden wir nicht», erklärt der Hausarzt im Gespräch mit Politik+Patient.

Noch wenig Konkretes
Noch ist ihm nicht klar, welche Rolle er mit seiner Einzelpraxis im künftigen Versorgungsmodell einnimmt. «Kann ich mich der Gesundheitsorganisation als Externer anschliessen? Zu welchen Bedingungen?», fragt er sich. Brechbühler will seine Einzelpraxis noch einige Jahre weiterführen und Patienten weiterhin ans Spital überweisen. Er wartet nun vorerst zu. Diesen Rat gibt er auch seinen Patientinnen und Patienten. Vielleicht wird er schon bald Antworten auf seine Fragen erhalten – an einer Informationsveranstaltung will der Réseau de l’Arc die Ärzteschaft aus der Region orientieren. Schon jetzt ist klar: Es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten – bei der Ärzteschaft und der Bevölkerung.

Integrierte Versorgung in Randregionen
Ihren Betrieb hat die neue Gesundheitsorganisation noch nicht aufgenommen. Ob ein Modell, das sich nicht Bottom-Up entwickelt, sondern von oben herab verordnet wird, Erfolg hat, wird sich zeigen. Ungeachtet dessen treibt der Kanton Bern die Idee der integrierten Versorgung in den Randregionen weiter voran. Im Simmental-Saanenland sollen Akutspital, Langzeitpflege, Spitex und Geburtshaus zum «Gesundheitsnetz Simme Saane» zusammengeführt werden. Doch anders als im Berner Jura wurde hier erst eine Absichtserklärung unterzeichnet.

Bildlegende

Das Spital Berner Jura – hier der Standort in Moutier – soll zu einem integrierten Gesundheitsversorger umgebaut werden. Den Bewohnern des Jurabogens werden mit diesem Modell medizinische Dienstleistungen in Kombination mit einem Krankenversicherungsprodukt angeboten.

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