Wegleitung zu mehr Balance

Vielerorts wird dringend nach Ärztinnen und Ärzten gesucht. Trotzdem geben immer mehr von ihnen den Beruf vorzeitig auf – wegen Überlastung, gesundheitlichen Problemen, zu viel Bürokratie. Wie kann man dem entgegenwirken? Ansätze zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
 

Überlange Arbeitstage, hohe Arbeitsbelastung, ausufernde Bürokratie: Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz haben oftmals wenig attraktive Arbeitsbedingungen. Der Missstand ist seit Jahren bekannt und wird von diversen Studien bestätigt, zuletzt von der neusten Befragung des Verbands der Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) vom Mai 2023. Viele Ärztinnen und Ärzte bewegen sich am Rande eines Burnouts oder anderer gesundheitlicher Probleme. Und viele steigen aus und hängen ihren Beruf an den Nagel – besonders fatal in einer Zeit des akuten Fachkräftemangels.

Wie können wir die dringend benötigten Arbeitskräfte im Beruf halten? Die vielgescholtene Work-Life-Balance ist zu einem abgedroschenen Begriff geworden, so dass man sie kaum mehr zitieren mag. Dennoch liegt hier einer der Schlüssel zur Verbesserung der Situation: Beruf und Privat-/Familienleben müssen besser vereinbar werden.

Mehr Bewusstsein schaffen
Wie das gelingen kann, darauf geht eine Wegleitung der Fachhochschule Nordwestschweiz ein. Das Dokument ist aus einer Zusammenarbeit mit Schweizer Spitälern und einer Rehaklinik entstanden und wurde im März 2023 publiziert. Die Antwort ist vielschichtig: Das Problem ist nicht nur struktureller Art, sondern es geht auch um Strategie, Prozesse und Kultur. Was bedeutet das? Es braucht ein grundsätzliches Umdenken, so die Autorinnen. Interessen und Tätigkeiten ausserhalb des Berufs müssen für Ärztinnen und Ärzte positiver bewertet und anerkannt werden. Anders formuliert: Auch Mediziner haben ein Leben neben der Arbeit. In Spitälern herrscht oft noch die Einstellung vor, dass die hohe Belastung und die unbegrenzte Leistungsbereitschaft zum ärztlichen Beruf dazugehören.

Auch die Patienten profitieren
Wesentlich besser vereinbaren lassen sich Beruf und Privatleben, wenn man Teilzeit arbeiten kann. In den allermeisten Fällen wird diese Möglichkeit für die Familienarbeit und Kinderbetreuung genutzt. Teilzeitarbeit sollte aber unabhängig davon für alle möglich sein. Denn: Ist die Ärztin oder der Arzt ausgeruht und ausgeglichen, ist das auch ein Vorteil für die Patienten. Hier ist tatsächlich bereits eine positive Entwicklung festzustellen: Der Anteil der Teilzeit arbeitenden Ärztinnen und Ärzte steigt. So gaben bei der VSAO-Befragung 2019 27 Prozent an, in einem Teilzeitpensum tätig zu sein. Diese Zahl stieg bei der neusten Befragung 2023 auf 33 Prozent. Notabene: Ein Vollzeitpensum von Assistenzärztinnen und -ärzten beträgt zurzeit 50 Stunden – darin inbegriffen sind vier Stunden Weiterbildung. Gemäss verschiedenen Umfragen können über die Hälfte aller Assistenzärzte diese Arbeitszeit aber nicht einhalten. Sie arbeiten durchschnittlich über elf Stunden pro Tag. Auch nach der Assistenzzeit sind Vollzeitpensen von 55 Stunden pro Woche die Regel – je nach Spezialisierung auch deutlich mehr.

Teilzeitarbeit als Chance
Um Teilzeitarbeit erfolgreich umzusetzen, muss sie als Chance und nicht als Hindernis gesehen werden. Dazu muss die Arbeit optimal organisiert werden. Zum Beispiel die Übergabe am Ende der Schicht: Alle notwendigen Informationen und pendenten Aufgaben müssen weitergegeben werden, effizient und lückenlos. Nur so kann auch sogenanntes Top-Sharing – das Aufteilen einer Kader- oder Führungsposition – gelingen. Mehr Teilzeitstellen schaffen und ein Wertewandel, der das Privat- und Familienleben höher gewichtet: Das sind nur zwei von vielen möglichen Massnahmen, damit auch Ärztinnen und Ärzte Beruf sowie Privat- und Familienleben besser vereinbaren können. Und damit hoffentlich weniger Arbeitskräfte den Beruf frühzeitig verlassen.

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