
Die Zeit drängt
Antibiotika sind in der modernen Medizin unverzichtbar. Doch immer mehr Personen tragen multiresistente Bakterien in sich. Prof. Andreas Widmer, Infektiologe und ehemaliger Präsident von swissnoso, ordnet die aktuelle Lage ein – und erklärt welche Massnahmen nötig sind.
Prof. Andreas Widmer, wie akut bedrohen Antibiotikaresistenzen die Schweiz?
In der Schweiz haben wir die Lage aktuell gut im Griff. Nicht zuletzt dank wirksamer Strategien des Bundes. Doch bei jeder Antibiotikatherapie besteht ein kleines, wenn auch fassbares Risiko, dass sich Resistenzen entwickeln. Eine Lungenentzündung würden wir ohne Antibiotika kaum überleben. Weltweit gesehen ist die Lage ernst. Laut dem britischen Ökonom Jim O’Neill könnten bis 2050 mehr Menschen an multiresistenten Bakterien sterben als an Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammen.
Welche Bakterien bereiten Ihnen aktuell Sorgen?
Wir unterscheiden zwischen kugel- und stäbchenförmigen Bakterien. Kugelförmige resistente Bakterien werden von Mensch zu Mensch oder über Oberflächen übertragen. Hier haben wir grosse Fortschritte erzielt: Dank konsequenter Hygienemassnahmen in Schweizer Spitälern konnten wir die Verbreitung dieser resistenten Bakterien auf das Niveau vor dem Jahr 2000 senken.
Und bei den stäbchenförmigen Bakterien?
Hier sind Resistenzen schwieriger einzudämmen. Der Tourismus trägt wesentlich zur Ausbreitung resistenter stäbchenförmiger Keime bei. Eine Studie des Tropeninstituts Basel hat gezeigt: Nach einem Aufenthalt in Asien waren fast 90 Prozent der untersuchten Touristen Träger von antibiotikaresistenten Darmbakterien. Auch Feriengäste, die nach einem Unfall in Südeuropa in Spitälern behandelt werden, kommen oft mit resistenten Bakterien zurück. Grund dafür ist häufig der ungezielte Antibiotikaeinsatz.
Woran merke ich als Patient, dass ich resistente Bakterien in mir trage?
Meistens nur bei einer Infektion, die nicht auf Antibiotika reagiert. Darum sollten Patienten nach Reisen in Risikoregionen, etwa Asien oder Südeuropa, ihren Arzt aktiv darauf hinweisen – mindestens bis ein Jahr nach der Rückkehr. Das ermöglicht gezielte Therapien.
Was können Patienten sonst noch tun, um Resistenzen zu verhindern?
Wichtig ist, dass Antibiotika strikt nach ärztlicher Anweisung eingenommen werden. Eine zu lange Einnahme fördert Resistenzen, eine zu kurze schwächt den Heilungserfolg. Und: Patienten sollten Antibiotika nie eigenmächtig absetzen oder verlängern.
Welche Verantwortung tragen Ärzte bei der Eindämmung von Resistenzen?
Ärztinnen und Ärzte sollten Antibiotika nur zurückhaltend und gezielt verschreiben. Deshalb hat der Bund die Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz (StAR) lanciert. Diese umfasst gezielte Weiterbildung für medizinisches Personal, klare Verschreibungsrichtlinien und ein nationales Monitoring resistenter Bakterien. Ziel ist ein bewusster und sparsamer Einsatz von Antibiotika, insbesondere um Reserveantibiotika für die Zukunft wirksam zu halten.
Warum kommt der politische Kampf gegen Antibiotikaresistenzen trotzdem nur schleppend voran?
Der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen verlangt langfristige Investitionen und politische Weitsicht. Leider denkt die Politik eher kurzfristig. Seit Jahrzehnten fehlen neue Antibiotikaklassen, weil deren Entwicklung für Pharmaunternehmen unrentabel ist. Wir brauchen dringend neue Anreizsysteme und Finanzierungsmodelle. Neue Antibiotika müssen staatlich gefördert und leichter eingeführt werden können. Unsere Arbeitsgruppe «Roundtable Antibiotics» arbeitet mit dem Bundesamt für Gesundheit genau daran.
Verändern Antibiotikaresistenzen langfristig die moderne Medizin?
Sie sind eine der grössten Herausforderungen für unsere Gesundheitssysteme. In den letzten 20 Jahren nahmen schwer behandelbare Infektionen weltweit deutlich zu. Noch haben wir die Chance, multiresistente Keime längerfristig unter Kontrolle zu halten. Doch das Zeitfenster wird kleiner. Wir müssen jetzt konsequent handeln, um sicherzustellen, dass Antibiotika auch für kommende Generationen wirksam bleiben.
Bildlegende
Seit Jahrzehnten fehlen neue Antibiotikaklassen, weil deren Entwicklung für Pharmaunternehmen unrentabel ist.
Bild: iStock