Wie Verbände die Gesundheitspolitik prägen

Verbände sind seit jeher mächtige Akteure in der Gesundheitspolitik. Ihr Einfluss ist kein Zufall, sondern politisch gewollt und rechtlich festgeschrieben – ein Markenzeichen des Schweizer Systems. Doch die zunehmende Fragmentierung, die Konkurrenz durch neue Akteure und wachsende Erwartungen stellen die klassische Interessensvertretung auf die Probe.

Im Schweizer Politsystem spielen Verbände eine wichtige Rolle. Für seine aktive Lobbyarbeit bekannt ist beispielsweise der Bauernverband. Weiter sind Berufsverbände auch als Tarifpartner, als Gewerkschaften oder als Arbeitgeber- und KMU-Vertreter eingebunden. Aber das politische Gewicht der Verbände hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewandelt. Zwar sind sie nach wie vor zentrale Akteure im gesundheitspolitischen Diskurs, doch ihr Einfluss ist brüchiger geworden. Einer der Hauptgründe: die zunehmende Fragmentierung innerhalb der Interessenvertretung. Wo früher ein Verband sprach, gibt es heute mehrere – in der Gesundheitspolitik sind über 100 Verbände und Organisationen aktiv. Das schwächt die Durchschlagskraft der einzelnen. Walter Stüdeli, Lobbyist mit jahrzehntelanger Erfahrung im Verbandsumfeld, sagt dazu: «Je mehr Lobbyisten es gibt – egal ob von Verbänden, Gewerkschaften oder Agenturen – desto schwieriger wird es, die Aufmerksamkeit der Ratsmitglieder zu erhalten.» Denn eine der wenigen Gemeinsamkeiten aller Parlamentsmitglieder von links bis rechts ist der notorische Zeitmangel. 

Neue Wege der Einflussnahme
Verbände, die sich heute profilieren wollen, müssen mehr bieten als klassische Positionspapiere. Gefragt sind Dialogfähigkeit, Lösungskompetenz und die Fähigkeit, das Gesamtsystem im Blick zu behalten. Gerade in der Gesundheitspolitik hat sich laut Stüdeli die Erwartungshaltung verändert: «Es reicht nicht mehr, ein Problem zu benennen – man muss gleich einen realistischen Lösungsvorschlag mitliefern.» Lobbyarbeit bedeutet zunehmend auch Aufklärungsarbeit.

Parallel dazu hat sich die Strategie vieler Verbände verändert. Alleingänge sind kaum mehr erfolgsversprechend. Selbst traditionsreiche Organisationen sind auf Allianzen angewiesen. Ein aktuelles Beispiel: Anfang 2025 demonstrierten die fünf grossen Verbände der universitären Medizinalberufe – FMH, Pharmasuisse, Chirosuisse, Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft SSO und Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte GST – vereint vor dem Bundeshaus und überreichten einen gemeinsamen Forderungskatalog. Dieses kollektive Auftreten zeigt, wie spezialisierte Verbände breite Bündnisse schmieden, um gemeinsame Anliegen politisch wirksam durchzusetzen.

Trotz aller Herausforderungen: Verbandsarbeit wirkt. Die Pflegeinitiative etwa wurde nach einem gescheiterten Lobbyingversuch des Berufsverbands der Pflegefachleute (SBK-ASI) von diesem schliesslich als Volksinitiative lanciert und vom Volk angenommen. 

Das System hat sich bewährt
Rechtlich ist die Einbindung der Verbände tief im politischen System der Schweiz verankert. Im Rahmen von Vernehmlassungsverfahren können sie Stellung zu Gesetzesentwürfen nehmen. In ständigen Kommissionen oder Arbeitsgruppen sitzen Verbandsvertreterinnen und -vertreter teilweise gleichberechtigt mit Personen aus der Verwaltung. Diese institutionelle Nähe ist politisch gewollt – als Ausdruck des Konsensprinzips und der föderalistischen Machtverteilung. 

Das System hat sich bewährt, auch in der Gesundheitspolitik. Die Verbände der Ärztinnen und Ärzte bringen fundiertes medizinisches Wissen und praktische Erfahrungen in den politischen Entscheidungsprozess ein. Das Gesundheitssystem ist extrem komplex. Die Verbände tragen dazu bei, dass realistische Lösungen diskutiert werden. Zudem vertreten die Leistungserbringer indirekt auch die Interessen der Patienten. Dazu kommt: Politische Entscheidungen, die in Zusammenarbeit mit den Verbänden getroffen werden, sind oft weniger anfällig für kurzfristige politische Moden oder Populismus. Dies hilft, nachhaltige Reformen zu gestalten. 

Jedoch: Trotz dieser Interessenvertretung hat sich einiges nicht verändert. So haben etwa die administrativen Anforderungen an die die Leistungserbringer in den letzten Jahren stetig zugenommen. Das spüren die Ärztinnen und Ärzte direkt in ihrem Berufsalltag. Statt Patientinnen und Patienten zu versorgen, verbringen sie immer mehr Zeit am Computer.

Institutionelle Macht und ihre Grenzen
In Zukunft werden jene Verbände erfolgreich bleiben, die sich den kommenden Herausforderungen anpassen und ihre Arbeit stetig hinterfragen. Neue Erwartungen an Transparenz, Nachhaltigkeit und Partizipation werden das Profil erfolgreicher Organisationen bestimmen. Zugleich eröffnen sich neue Chancen. Patientenorganisationen gewinnen an Gewicht, die Digitalisierung verändert Kommunikationswege und die Dossiers sind komplexer geworden. Umso mehr braucht es die Verbände, die fachliches Wissen mit politischem Gespür verbinden. Entscheidend wird sein, dass sie in der Lage sind, Allianzen zu schmieden und über Eigeninteressen hinaus zu denken – denn gesundheitspolitische Herausforderungen lassen sich nur gemeinsam meistern.

Bildlegende

Im Schweizer Politsystem spielen Verbände eine wichtige Rolle. Das System hat sich bewährt, auch in der Gesundheitspolitik.

Bild: Keystone

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